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Deutsche Gesellschaft für Chirurgie

COVID-19 infizierte Patienten, die sich einer Operation unterziehen, haben ein erhöhtes postoperatives Letalitätsrisiko – Ergebnisse einer globalen Studie

2. Juni 2020 

Sehr geehrtes Mitglied,

Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) macht ihre Mitglieder und die Mitglieder ihrer assoziierten Fachgesellschaften auf die erste Publikation einer weltweiten Forschungskooperation im „The Lancet“ (Impact Faktor 59,1) aufmerksam. Die DGCH hatte im April die chirurgischen Abteilungen deutscher Krankenhäuser aufgefordert, an einer globalen Datenerhebung über operierte Patienten, die von der Universität Birmingham geleitet wird und unter dem Acronym „COVIDSurg“ firmiert, teilzunehmen. Jetzt liegen bereits die ersten Ergebnisse dieser weltweiten Datenerhebung vor und bringen Evidenz in bisherige Vermutungen:

Als Reaktion auf die sich entwickelnde COVID-19-Pandemie empfahlen die meisten Regierungen und Berufsverbände die Absage von elektiven Operationen. Diese Maßnahme war wichtig, um Bettenkapazitäten im Krankenhaus freizumachen und die Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA) sicherzustellen sowie Patienten und Mitarbeiter des Gesundheitswesens zu schützen. Experten der Universität Birmingham unter der Leitung der NIHR Global Research Health Unit on Global Surgery haben jetzt ihre Ergebnisse veröffentlicht, wonach SARS-CoV-2-infizierte Patienten, die sich einer Operation unterziehen, postoperativ wesentlich schlechtere Behandlungsergebnisse aufweisen als bei ähnlichen Patienten ohne SARS-CoV-2-Infektion zu erwarten wäre.

Perioperativ mit SARS-CoV-2 infizierte Patienten, die sich einer Operation unterziehen, haben demnach ein stark erhöhtes Risiko, postoperativ zu versterben. Die Letalitätsraten sind annähernd so hoch wie bei den am schwersten erkrankten Patienten, die nach der Ansteckung mit dem Virus auf die Intensivstation eingewiesen wurden.

Die Forscher untersuchten die Daten von 1.128 Patienten aus 235 Krankenhäusern. Insgesamt nahmen 24 Länder teil, vorwiegend in Europa, obwohl auch Krankenhäuser in Afrika, Asien und Nordamerika beteiligt waren.

Insgesamt lag die 30-Tage-Letalität in der Studie bei 23,8%. Die Letalität war in allen Untergruppen unverhältnismäßig hoch, darunter elektive (planbare) Operationen (18,9%), Notfalloperationen (25,6%), kleinere Operationen wie Blinddarmoperationen oder Hernienreparaturen (16,3%) und größere Operationen wie Hüftoperationen oder Dickdarmkrebsoperationen (26,9%).

Die Studie zeigt, dass die Letalitätsrate bei Männern (28,4%) im Vergleich zu Frauen (18,2%) und bei Patienten im Alter von 70 Jahren oder älter (33,7%) im Vergleich zu Patienten unter 70 Jahren (13,9%) höher war. Zu den Risikofaktoren für den postoperativen Tod gehörten neben Alter und Geschlecht auch schwere vorbestehende medizinische Probleme, Krebsoperationen, größere Eingriffe und Notoperationen. Der hohe Anteil dieser Patienten, bei denen in der postoperativen Phase eine SARS-CoV2-Infektion diagnostiziert wurde, ist von Interesse. Diese Patienten erwarben ihre Infektion wahrscheinlich vor der Aufnahme ins Krankenhaus, was die hohe Prävalenz von SARS-CoV-2 in der jeweiligen Region widerspiegelt.

Der Generalsekretär der DGCH, Prof.Dr.Dr. H.J.Meyer, sagt dazu: "Die Letalitätsrate bei Patienten, die sich einem kleinen und elektiven chirurgischem Eingriff unterziehen, liegt bei 1% oder darunter, aber diese Studie deutet darauf hin, dass diese Letalitätsrate bei SARS-CoV-2-Patienten sowohl bei kleinen Operationen (16,3%) als auch bei elektiven Operationen (18,9%) deutlich höher liegt. Auch sind diese Letalitätsraten höher, als bei Hochrisikopatienten vor der Pandemie beobachtet wurde. Die meisten Patienten in der Studie kamen aus Italien, Spanien, Grossbritannien und den USA; die Gesundheitssysteme dieser Länder waren in den frühen Stadien der COVID19-Pandemie weitgehend überfordert, dennoch sind diese Ergebnisse auch für deutsche Verhältnisse beunruhigend.

Patienten, die sich einem chirurgischen Eingriff unterziehen, sind eine gefährdete Gruppe, bei der das Risiko einer SARS-CoV-2-Exposition im Krankenhaus besteht. Sie können besonders anfällig für nachfolgende pulmonale Komplikationen sein, die durch entzündliche und immunsuppressive Reaktionen auf Operationen und mechanische Beatmung hervorgerufen werden. Die Studie ergab, dass insgesamt 51% der Patienten in den 30 Tagen nach der Operation eine Lungenentzündung und/oder ein akutes Atemnotsyndrom entwickelten oder eine unerwartete Beatmung benötigten. Dies könnte die hohe Letalität erklären, da bei den meisten (81,7%) der verstorbenen Patienten pulmonale Komplikationen aufgetreten waren. Ob sich diese Daten auch auf deutsche Verhältnisse übertragen lassen, wird in einem Forschungsprojekt, das die DGCH über ihre Studienzentrale (SDGC) und dem angeschlossenen bundesweiten Studiennetzwerk ChirNet gestartet hat, u.a. untersucht werden.

Der Präsident der DGCH, Prof.Dr.Th.Schmitz-Rixen, kommentiert: „Die Daten rechtfertigen jetzt evidence based ex post die Entscheidung, diese zeitlich unkritischen Operationen aufzuschieben. Auf die wichtige Frage über die konkurrierenden Risiken einer Verzögerung der Operation bis zur Genesung von COVID-19 im Vergleich zum Fortschreiten der Krankheit oder des Leidens in der Zwischenzeit haben wir bereits hingewiesen. Wir sind jetzt in der Phase der abklingenden Pandemie und eine zweite Welle wird aktuell als nicht sicher angesehen. Uns erwarten weltweit etwa 28 Millionen aufgeschobene Operationen. SARS-CoV-2 ist aber nicht verschwunden und diese Daten zeigen auch, wie gefährlich es ist, in eine mögliche Infektion hinein zu operieren. Es sollten vor einer elektiven Operation alle Anstrengungen unternommen werden, durch sorgfältige Anamneseerhebung betreffs COVID-19 Symptomen und konsequente Abstriche, infizierte Patienten zu identifizieren und die geplante Operation bei positivem Befunden aufzuschieben. Dies ist aktiver Patientenschutz und auch Arbeitsschutz für das medizinische Personal. Es besteht ein eindeutiges Risiko für das Krankenhauspersonal, wenn infektiöse Patienten nicht so früh wie möglich erkannt werden. Betreffs der regionalen Notwendigkeit der Virus-Abstriche bei niedriger Prävalenz setzen wir in der jetzigen Phase auf die Empfehlungen der regional zuständigen Gesundheitsämter.

Wo kann man die Arbeit finden?
Die Arbeit „Mortality and pulmonary complications in patients undergoing surgery with perioperative SARS-CoV-2 infection: an international cohort study (Mortalität und pulmonale Komplikationen bei Patienten, die sich einer Operation mit perioperativer SARS-CoV-2-Infektion unterziehen: eine internationale Kohortenstudie)“ kann kostenfrei unter https://www.thelancet.com heruntergeladen werden (Direktlink auf den Artikel). Der Artikel ist frei zugänglich und steht für jedermann zum Lesen und Herunterladen zur Verfügung.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen Ihre

Prof.Dr.med.Th.Schmitz-Rixen, Präsident DGCH
Prof.Dr.med.Dr.h.c. H.J.Meyer, Generalsekretär DGCH

 

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