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Deutsche Gesellschaft für Chirurgie

"Passion Chirurgie - Appendizitis" 01/2018 - Mitteilungen der DGCH und des BDC

Der Wandel kommt …

…auf leisen Sohlen. Wo finden wir uns am Ende als Ärzte wieder? Denn egal, wie auch immer sich eine Regierung findet, die Bestrebungen, das Gesundheitssystem tiefgreifend zu verändern, sind allgegenwärtig.

Allen voran versuchen die Kostenträger immer wieder mit teilweise ziemlich plakativen Aussagen, vermeintliche Missstände an den Pranger zu stellen. Stellt sich nur die Frage, ob dies nur dazu dient, die Patientenversorgung zu verbessern oder doch eher einen strukturellen Kahlschlag vorzubereiten. Jüngstes Beispiel dafür ist die Aussage, dass jährlich hunderte Tote zu beklagen seien, weil diese am falschen Ort operiert worden seien. Das Thema ist bekannt: Mindestmengen! Grundsätzlich befürworten natürlich auch wir Chirurgen ohne jede Einschränkung eine optimierte Versorgung an solchen Häusern, die dafür die erforderliche Expertise aufweisen. Entsprechend haben wir uns dazu in der Vergangenheit und aus aktuellem Anlass auch jetzt wieder eindeutig positioniert. Es muss allerdings die Frage beantwortet werden, für welche Eingriffsarten welche Mindestmengen gelten sollen. Da genügt es nicht, einfach platt zu fordern „viel hilft viel“, sondern es müssen ausreichend begründete Daten evaluiert werden, auf deren Grundlage entsprechende Empfehlungen herausgegeben werden können.

Die Mindestmengendiskussion ist eben nur vordergründig wohlmeinend im Sinne der Patienten gedacht. Im Kern geht es um die Reduktion kleinerer Abteilungen respektive kleinerer Kliniken. Letztere sind aber vorwiegend in der Fläche angesiedelt und halten dort die wohnortnahe Versorgung aufrecht, die ja schließlich auch immer lautstark gefordert wird. Wenn derartige Häuser nicht zuletzt wegen Wegfalls bestimmter Leistungen nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sind und geschlossen werden, ahnen wir schon den Aufschrei der Politik, dass die Ärzte wieder einmal um des eigenen Profits willen, die Versorgung der Patienten mit Füßen treten. Wohl gemerkt: Qualität für Patienten ist die eine Seite, die von niemandem bestritten wird, die Konsequenzen wollen wir dann aber auch dort ansiedeln, wo sie hingehören. Wir müssen uns vehement gegen die Doppelzüngigkeit Dritter wehren, die bei Einschränkungen gleich welcher Art stets jede Schuld von sich weisen.

In die ähnliche Richtung geht eine bundesweit in die Medien gestreute Attacke gegen die Schulterchirurgie. Auch hier wird ohne mit der Wimper zu zucken, den Chirurgen vorgeworfen, überflüssige Operationen vorzunehmen. Dies ist die Kernaussage der jeweiligen Artikel, die dann mit einer in England erschienenen „wissenschaftlichen“ Studie untermauert wird. Es zeigt sich bei genauerer Betrachtung aber, dass diese sogenannte Studie erstens keinerlei wissenschaftlichen Kriterien genügt und im Übrigen die o. g. Aussage auch gar nicht wirklich bestätigt. Alle mit der Thematik vertrauten Verbände, darunter auch der BDC, haben eine sehr fundierte und ausgewogene Gegendarstellung ausgearbeitet, die wie zu erwarten leider keine gleiche Öffentlichkeit erfahren hat wie die reißerische Erstmeldung.  Es gilt: „Patient stirbt nach Arztbesuch“ ist eine Meldung; „Patient wird nach Arztbesuch von einem Auto erfasst“ interessiert niemanden.

Was aber ist der Hintergrund für die ärgerliche Publikumsverunsicherung? Auch hier geht es natürlich wieder nur um die Frage, ob teure Operationen verhindert werden können. Wir haben das bereits mit dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Herausnahme der arthroskopischen Eingriffe bei Gonarthrosen aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen erlebt. Die zitierte Meldung zur Schulterchirurgie zielt in die gleiche Richtung. Für uns Chirurgen steht außer Frage, dass wir Indikationen zu operativen versus konservativen Maßnahmen zum Wohle der Patienten sorgfältig abwägen. Die Indikationsstellung ist die zentrale Aufgabe und eigentliche Kunst unseres Faches, verankert in der Weiterbildungsordnung und durch Erfahrung vertieft. Wir müssen aufpassen, dass nicht irgendwelche Organisationen - aus welchen Gründen auch immer - in diese, unsere Kompetenz eingreifen. Allerdings setzt das auch von unserer Seite voraus, dass wir verantwortungsbewusst handeln und uns freihalten von ökonomischen Zwängen. Verlieren wir die Hoheit über die Indikationsstellung, werden wir in kürzester Zeit zu auftragnehmenden Handlangern für Operationen, die am Ende dann auch von speziell geschulten nicht-ärztlichen Physician Assistants erbracht werden könnten.

Vor diesem Hintergrund ist das Menetekel einer möglichen Bürgerversicherung eher nur eine wohlklingende Worthülse im Rahmen der Gerechtigkeitsdebatte. Ob eine solche grundsätzliche Veränderung unserer Sozialversicherung sinnvoll ist oder nicht, darum wird erbittert gestritten. Still und heimlich wird aber schon längst an verschiedenen Stellschrauben gedreht, deren Ziel es ist, die Versorgung, die in Deutschland weltweit mit am höchsten ist, langsam zurückzudrehen. Wir wären gut beraten, wenn wir dies - insbesondere auch die Hintergründe - so verstehen und dann selber vernünftige Vorschläge einbrächten, statt immer nur klagend hinterherzurennen. Wer sich nicht bewegt, der wird bewegt – und wenn es aufs Abstellgleis geht.

Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg
Vizepräsident
Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC)
Luisenstraße 58/59
10117 Berlin
dr.rueggeberg[at]t-online.de

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC)
Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie e.V. (DGCH)
Luisenstr. 58/59, 10117 Berlin
praesident[at]bdc.de, h-jmeyer[at]dgch.de