DGCH Logo

DGCH
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie

Interview mit EBA-Kongresspräsident Prof. Dr. Peter M. Vogt

anlässlich des 16th European Burns Association Congress – 16.-19. September 2015 in Hannover

"Aktuellste Informationen und neue Impulse für die Versorgung von brandverletzten Patienten"

Hannover. (ka) Verbrennungen als die schwerste einen Menschen betreffende Verletzungsform stellen Mediziner aus verschiedenen Bereichen vor ganz besondere Herausforderungen. Beim 16. „European Burns Association Congress“, der vom 16. bis 19.09.2015 in Hannover stattfindet, tauschen sich renommierten Experten europäischer Länder und auch interkontinental über die aktuellsten Informationen in der Versorgung von schweren Brandverletzungen aus: Plastische Chirurgen, Unfallchirurgen, Allgemeinchirurgen, Anästhesisten, Intensivmediziner, Rehabilitations-mediziner, Pädiater, Pflegekräfte, Psychologen, Physiotherapeuten.  Kongresspräsident und Präsident der EBA Universitätsprofessor Dr. Peter M. Vogt, Direktor der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Direktor des Schwerbrandverletztenzentrums Niedersachsens, gibt vorab erste Einblicke in Ausrichtung und  Schwerpunkte des international hoch angesehenen Kongresses.

KA: Was ist die besondere Ausrichtung der Tagung? Welche wichtigen Schwerpunkte haben Sie als Kongresspräsident in diesem Jahr beim EBA Kongress gesetzt?

Prof. Vogt: „Die Schwerpunkte liegen dieses Jahr besonders im Bereich der leitliniengerechten Therapie, der Qualitätssicherung als auch der Akkreditierung von Brandverletztenzentren in Deutschland und Europa. Daneben wird der Kongress aktuelle praktische Themen der täglichen Praxis wie Hautersatz und Narbentherapie, Wiederherstellungschirurgie und die besonderen pflegerischen und rehabilitativen Aspekte besonders aufgreifen und es werden spezielle Sitzungen zu Kontroversen in der Verbrennungstherapie sowie der Grundlagenwissenschaft stattfinden.

KA: Welche besonders interessanten Vorträge erwarten die Tagungsteilnehmer?

Prof. Vogt: „Sicher die Rudi-Hermans-Vorlesung des italienischen Plastischen Chirurgen und Verbrennungsspezialisten Prof. Dr. Michele Masellis aus Palermo, Italien, der Wichtiges für die Therapie im gesamten Mittelmeerraum und international in  Entwicklungsländern geleistet hat.
Prof. Masellis wird sein Lebenswerk vorstellen, für das er mit der Rudi Hermans Lecture geehrt wird. Er hat über 30 Jahre in Südeuropa und im Orient für eine Verbesserung der Verbrennungs-medizin gearbeitet, auf Kongressen, Seminaren und Operationseinsätzen moderne Standards etabliert und damit die Versorgung der in diesen Ländern so häufig durch schwere  Verbrennungs-verletzungen betroffenen Patienten verbessern geholfen. Es wird sicherlich spannend, an seinen Erfahrungen teilzuhaben. Mit dem von ihm mit gegründeten Euro-Mediterranean Burn Council pflegt die EBA eine enge Zusammenarbeit. Europa wächst so gesehen auch verbrennungsmedizi-nisch  immer mehr zusammen. Besonders herausheben möchte ich aber auch die Vorträge zu Intensivmedizin, Chirurgie und Rehabilitation. Wir freuen uns besonders auf Vorträge und Diskus-sionen zu Innovationen aus der Deutschen Verbrennungsmedizin und die zahlreichen internationa-len Übersichtsvorträge von anerkannten Experten und Pionieren wie  Prof David  Herndon und Prof Ronald Tompkins aus den renommierten Shriners Burns-Zentren in Galveston und Boston, USA.

KA: Ein wichtiger Tagungsschwerpunkt ist der Bereich der Akutversorgung. Worauf liegt der Fokus?

Prof. Vogt: „Besonders nennen möchte ich hier das neue Verfahren des sogenannten enzymatischen Debridements, das heißt der Entfernung des Verbrennungsschorfes durch ein von außen auf die Wunden aufgebrachtes Enzym, welches früh nach der Verbrennung den Heilungsverlauf günstig beeinflusst. Damit werden möglicherweise zukünftig Operationen weniger häufig erforderlich und die Qualität der Haut durch Erhalt von der Lederhaut signifikant verbessert.

KA: Welche neuen Impulse erwarten Sie im Bereich der Wiederherstellungstechniken? Gibt es aktuelle Verfahren, die neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen? Was ist spektakulär – zum Beispiel beim Hautersatz?

Prof. Vogt: „Hier werden mit neuen Hautersatzverfahren durch Biomaterialien oder Verfahren, die  Oberhaut durch Zell-Sprays zu erhalten, Verbesserungen erzielt. Spektakulär sind sicherlich die mikrochirurgischen Plastischen Wiederherstellungstechniken und die Ergebnisse der Gesichts-transplantation – dazu wird Prof Barret aus Barcelona berichten, einer der weltweiten Experten.

KA: Ein weiterer Kongress-Schwerpunkt liegt im Bereich der Infektionen bei Verbrennungen, Brandnarben und pädiatrische Verbrennungen. Welche neuen Erkenntnisse werden vorgestellt?

Prof. Vogt: „Hier sprechen Sie ein wichtiges Problemfeld an: Nach wie vor ist die führende Todes-ursache nach Verbrennungen die Infektion, die sich über großflächige Brandwunden ausbreitet – und dies trotz fortschrittlichster medizinischer Spezialeinrichtungen und Wahrung höchster hygienischer Standards sowie gezieltem Einsatz von Antibiotika. Aber auch die vom Patienten selbst stammende Keimlast mit dem Risiko der Selektion von Resistenzen und das Risiko nosokomialer, das heißt von im Krankenhaus erworbenen Infektionen nach längerer stationärer Behandlung, ist eine steigende Herausforderung. Hier müssen wir große Anstrengungen unter-nehmen, um vor allem über die Infektionsprävention Fortschritte zu erzielen.
Nach überstandender Intensivtherapie sind die Patientinnen und Patienten dann von Narben betroffen, deren Behandlung dank moderner Forschung stetige Verbesserungen erfährt. Zu nennen sind hier Mikronadeltherapie, Laser und auch mechanische Verfahren. Diese Fortschritte sind gerade für Kinder von Bedeutung, da diese im Wachstum von Narben behindert werden und das ganze Leben mit körperlichen und psychischen Folgen leben müssen.

KA: Im Fokus steht weiterhin die Behandlung von Schmerzen. Gibt es Neuerungen in diesem Bereich?

Prof. Vogt: „Hier verfügen wir mittlerweile über ein großes Spektrum an Möglichkeiten, die sämtliche medikamentösen Optionen einschließlich neuerer Opiatderivate, Medikamentenpumpen und Therapiepflaster beinhalten. Wesentlich ist aber, dass die Patienten über eine intensive und nachhaltige Rehabilitation unter ganzheitlichen Aspekten langfristig die Folgen wie Schmerzen am besten bewältigen.

KA: Welche Rolle spielt die evidenzbasierte Therapie und  Pflege von Verbrennungspatienten und der Umgang mit psychosozialen Aspekten bei Verbrennungspatienten?

Prof. Vogt: „Evidenzbasierte  Ansätze werden sicherlich eine zunehmende Rolle spielen, um die Behandlung wissenschaftlich fundiert in die Zukunft weiter zu entwicklen. Andererseits muss aber auch die hervorragende Arbeit der wenigen Zentren adäquat vergütet werden, die bislang in Deutschland nur mit allgemeinen Durchschnittspreisen vergütet werden. Die hohen Aufwendungen für Personal, Infrastruktur und Verbrauchsmaterielaien werden nur unzureichende erfasst, da jeder Verbrennungen behandeln darf. Die psychosozialen Folgen, insbesondere Langzeitschäden, werden in Deutschland sicher am konsequentesten im berufgenossenschaftlichen Heilverfahren nach-verfolgt. Für eine Wiedereingliederung der betroffenen Patienten in ihr soziales Umfeld und den Beruf ist gerade die psychosoziale Rehabilitation von großer Bedeutung. An der MHH laufen gerade wissenschaftliche Untersuchungen in Zusammenarbeit mit unserer klinischen Psychologie zur Entwicklung entsprechender Messverfahren. Ein großes Manko und eigentlich völlig unverständlich ist, dass Brandverletztenzentren bisher keine Anerkennung als spezialisierte Zentren erhalten. Mit der von der EBA gestarteten Akkreditierung von Brandverletztenzentren – die ersten beiden wurden bereits in der Schweiz validiert –, wollen wir hier einen Weg hin zur notwendigen Anerkennung von Zentren gehen, die Qualitätsarbeit entsprechend den EBA Leitlinien leisten.

KA: Es sollen Innovationen in der Therapie von Verbrennungsnarben vorgestellt werden. Welche aktuellen Ergebnisse und neuen Ansätze gibt es in diesem Bereich?

Prof. Vogt: „Die wichtigste Erkenntnis gerade auch unserer eigenen Forschung an der MHH ist, dass Brandnarben auch noch nach Jahren positiv zu beeinflussen sind. Zunehmendes Verständnis für die Dynamik und die zellulären und molekularen Zusammenhänge bieten neue Ansatzpunkte mittels verfeinerter chirurgischer, medikamentöser und physikalischer Verfahren.

KA: Neben wissenschaftlichen Symposien und Sitzungen und Kursen zu speziellen Themenbereichen steht der Austausch von evidenzbasierter Verbrennungsmedizin im Kontext alltäglicher Erfahrungen aus der Praxis im Vordergrund. Welche methodischen Verbesserungen und neuen Erkenntnisse werden vorgestellt?

Prof. Vogt: „Im Zentrum steht sicherlich die Erhebung von Primärdaten, wie wir sie in Deutschland vorbildhaft in die Wege geleitet haben. Seit nahezu 20 Jahren vergleichen sich die Verbrennungs-zentren im deutschsprachigen Raum hinsichtlich ihrer Ergebnisse, woraus sich wertvolle Erkennt-nisse zur Epidemiologie, Behandlungseffizienz und Überlebensraten gewinnen lassen. Auf dieser Basis werden sich zukünftig z.B. Therapieverfahren noch besser und objektiver vergleichen.

Wir bedanken uns sehr herzlich für das Interview!

Alle Informationen sowie das Programm gibt es unter www.eba2015.de. Journalisten sind herzlich zur Tagung eingeladen, sich über aktuelle Themen zu informieren und zu berichten.
Die Akkreditierung ist über die Homepage und den Pressekontakt möglich.

Pressekontakt:
Kerstin Aldenhoff
Tel.: +49 172 3516916
kerstin.aldenhoff[at]conventus.de

Hintergrund
1981 wurde die „European Burns Association“ (EBA) als gemeinnützige Vereinigung gegründet. In der europäischen und mittlerweile international renommierten Fachgesellschaft können Verbrennungs-spezialisten ihre Erfahrungen untereinander austauschen und auf dieser Basis unter Berücksichtigung der aktuellen Studienlage Leitlinien erarbeiten.
Aufgrund ihrer Multidisziplinarität hebt sich die EBA von vielen anderen Fachgesellschaften ab. So finden sich unter den Aktiven Mitgliedern Plastische Chirurgen, Unfallchirurgen, Allgemeinchirurgen, Anästhesisten, Intensivmediziner, Rehabilitationsmediziner, Pädiater, Pflegekräfte, Psychologen, Physiotherapeuten, Brandopfer und viele mehr.
Die EBA versteht sich weniger als Dachverband der nationalen Verbrennungsgesellschaften. Vielmehr werden hier mit breiter Hilfe verschiedene Projekte europaweit angeregt und umgesetzt. Aktuell ist eine europaweite Verifizierung von Brandverletztenzentren geplant.
Ebenso sollen Ausbildungsstandards auf europäischer Ebene zusammengefügt werden. Im Rahmen des Verifizierungsprozess können die einzelnen Zentren sich nach strengen Richtlinien prüfen und als Brandverletztenzentrum durch die EBA anerkennen lassen. Durch diesen Prozess soll gewährleistet werden, dass die Behandlung von Brandverletzten nach allgemein gültigen Richtlinien und Standard-isierungen (Standard Operative Procedure) mit entsprechender Ressourcenbereitstellung erfolgt.