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DGCH
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie

Österliche Reflexionen der DGCH zur COVID-19 Krise

Sehr geehrte Frau Kollegin,
sehr geehrter Herr Kollege,

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick
Im Tale grünet Hoffnungsglück….
J.W.GOETHE, Faust I, 1808

Noch hält das COVID-19 Virus uns alle fest im Griff, aber wo immer Sie sich befinden, im Lockdown oder Knockdown, im Operationssaal oder auf der Intensivstation unter FFP3 Maske und erweiterter Schutzeinrichtung, in Quarantäne, im Homeoffice oder angesteckt und erkrankt zu Hause oder im Krankenhaus haben Sie vielleicht den aktuellen Meldungen entnehmen können, dass wir in Deutschland die erste Welle der Pandemie bald überstanden haben könnten. Wir Chirurgen jedweder Fachrichtung standen nun nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, haben aber entscheidend dazu beigetragen, dass die Krankenhäuser die notwendigen Ressourcen in unserem Gesundheitssystem zur Behandlung der schweren Krankheitsverläufe zur Verfügung stellen konnten. Hierzu haben wir unsere stationären und ambulanten Einrichtungen einschließlich Notfallaufnahmen und des Personals in räumlich getrennte COVID und NON-COVID Behandlungseinheiten aufgeteilt. Dies war eine an vielen Orten bereits gelungene gewaltige Herausforderung.

Als einschneidende Konsequenz haben wir zudem unsere Ambulanzen deutlich zurückgefahren und in aufwendigen persönlichen Telefonaktionen planbare Operationen nach dem Willen von Bundes- und Landesbehörden verschoben. Hierzu mussten von allen chirurgischen Fachgesellschaften Leitlinien und Indikationslisten entwickelt werden, welche Eingriffe hiervon betroffen sind und wie lange man solche Eingriffe medizinisch vertretbar auf einen späteren Zeitpunkt verlegen kann.

Dabei ist es nicht möglich, die Eilbedürftigkeit bzw. das Aufschieben eines chirurgischen Eingriffs allein an der Notfall-Frage zu definieren. Während einige Fälle an einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden können, ist die Mehrzahl der Eingriffe durch die Progression der zugrundeliegenden Erkrankung (Karzinome, Organversagen, Gefäßkrankheiten, Auftreten von Komplikationen einer Erkrankung oder eines Unfalls) charakterisiert. Das Ausmaß und der Zeitrahmen dieser Progression ist krankheitsspezifisch und kann zu einem irreversiblen Dauerschaden führen. Definitiv darf das Sterblichkeitsrisiko der Verschiebung eines Eingriffes nicht höher sein als das einer schweren krankenhauspflichtigen COVID-19 Erkrankung.

Es soll Niemand an COVID-19 versterben, aber auch nicht aufgrund fehlender Ressourcen wegen COVID-19 erhebliche Nachteile erleiden. Dies sind wir allen unseren Patienten schuldig. Da aufgrund der erfolgreichen Abschwächung der Infektionswelle nun günstigere Bedingungen für planbare Eingriffe vorliegen, müssen wir in der Woche nach Ostern neu entscheiden, inwieweit wir die bisherigen Vorgaben aufrechterhalten müssen. Auch ist zu kalkulieren, dass die Verschiebung der gesamten chirurgischen Versorgung der Bevölkerung zu einem erheblichen Versorgungsengpass für den Rest des Jahres führen wird. Sorgen bereitet auch in diesem Zusammenhang, dass ganz offensichtlich eine große Anzahl von Patienten die Praxen und Notfallambulanzen aus Angst vor einer Infektion nicht mehr aufsucht und damit Frühsymptome einer Erkrankung nicht erkannt werden, was letztlich zu einer deutlich komplexeren Behandlungsoptionen führen kann.

Seien wir realistisch:
Nach COVID kann und wird nicht wie vor COVID sein. Die jetzigen Einschränkungen werden gewaltige Einschnitte hinterlassen. Kurz- und mittelfristig wird der Staat zwar in die offensichtlichen Defizite, wie Mangel an Schutzkleidungen, Laborkapazität und öffentliches Gesundheitswesen investieren; dies wird auch zu Lasten der langfristig notwendigen Investitionen,u.a. in unseren Fachgebieten, geschehen, denn irgendwie muss ja das Geld bereitgestellt werden. Die Folgen des wirtschaftlichen „Lockdowns“ werden Staat und Krankenkassen nicht großzügiger werden lassen können. Die gesetzlich vorgesehenen Kompensationen der Krise mit den „Hilfspaketen“ sind darüber hinaus finanziell nicht auskömmlich. Dies betrifft sowohl die Einrichtung von Beatmungsplätzen wie auch die Kompensation von vorgehaltenen und nicht belegten Betten. In der logischen Folge wird die Insolvenzrate der Krankenhäuser exponentiell ansteigen. Auch intern wird es zu Veränderungen der Zusammenarbeit im Gesundheitssystem und der Organisationsstruktur der Krankenhäuser kommen müssen. Wir sind gut beraten, jetzt schon darüber nachzudenken. Lernen wir am Erlernten und vertrauen wir auf die erlebte Solidarität. Eines steht jetzt schon fest: Die Krise hat nachhaltig einen gewaltigen Digitalisierungsschub erzeugt.

Die jetzt erfahrene Wertschätzung der Bevölkerung, die medizinisches Personal, Rettungskräfte und anderes systemrelevantes Personal sowie wissenschaftlicher Sachverstand erfährt, imponiert uns allen und nährt die Hoffnung, dass nach dieser Pandemie Gesundheitseinrichtungen als systemrelevante Daseinsvorsorge begriffen werden und nicht nur als profitorientierte Gesundheitsfabriken.

Wir wünschen von Herzen ein frohes Osterfest.
Achten Sie auf sich und die Ihren und bleiben Sie gesund!

Ihre
Prof. Dr. med. Thomas Schmitz-Rixen  Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans Joachim Meyer
Präsident                                            Generalsekretär